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Wakultschik, Maxim
Maxim Wakultschik, der von 1992 bis 2000 an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat, be- trachtet diese ambivalenten Situationen gewissermaßen in einem künstlerischen Diskurs, in dem er neue Rezeptionsformen gezielt für die Konstituierung des jeweiligen Werkinhalts entwickelt. Über- greifende Methoden sind unter anderem die serielle Reihung oder die Verwendung künstlerischer Techniken, die die individuelle Handschrift des Künstlers zurückstellen. Immer aber interessieren ihn die Möglichkeiten, von der planen Fläche des klassischen Bildes in die dreidimensionale Sphäre des Raumes vorzustoßen und damit den Betrachter unmittelbar in das Werk einzubeziehen.
Die Ergebnisse dieses Diskurses realisieren sich in der Kunst Maxim Wakultschiks in ebenso viel- fältigen wie innovativen Konzeptionen. So stellt der Künstler in seiner »Multipersonality«-Serie die Bildnisse einer oder zwei verschiedener Personen einander gegenüber. Wie eine auseinander gezogene Zieh- harmonika werden beide Gesichter zickzackförmig nebeneinander gesetzt, wobei diese Dualität noch durch einen Farbkontrast hervorgehoben wird. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel man auf die hölzerne Relieftafel schaut, sieht man entweder eines der beiden Gesichter oder es entsteht ein Doppelporträt aus gegeneinander gesetzten Streifen. Somit vereint Wakultschik janusköpfig zwei sich widersprechende Seiten einer oder zweier Personen und veranschaulicht auf diese Weise das vieldeutige Gefüge der Identität.
In der Werkreihe »Reflexions« präsentiert Maxim Wakultschik die dargestellten Personen – allesamt berühmte Persönlichkeiten, wie Künstler, Schauspieler und Models – in Plexiglaskästen. Wie das Schweißtuch der Heiligen Veronika erscheinen die Abbilder dieser ›VIPs‹ hinter dem mattierten Glas. Mit dieser Darstellungsform werden sie in eine irreale, jenseitige Sphäre entrückt, durch die sich eindrucksvoll der zwiespältige Charakter solcher ›Berühmtheiten‹ offenbart: von der Öffentlichkeit auf einen ›Sockel‹ gestellt, transportieren sie ein ›Image‹ von sich selbst, dem sie in ihrem eigenen Leben oft nicht entsprechen.
Auch in seiner neuesten Serie »Zugfenster« und »Plane Windows « wird der Betrachter zum Voyeur. Man schaut von außen in einen Zug oder Flugzeug und wird so Zeuge flüchtiger Situationen, die sich gerade zufällig in diesem Moment er- eignen. Die Abgeschlossenheit, die durch die Rahmung der Fenster entsteht, verweist einerseits auf die Isolation der Reisenden, die nur zufällig zur selben Zeit am selben Ort sind; andererseits betont sie die Intimität der dargestellten Szenen. Durch Letzteres entsteht die eigentümliche Situation, die den Betrachter in die Rolle des heimlichen, nach Entlarvung suchenden ›Spitzels‹ versetzt.
In allen Arbeiten Maxim Wakultschiks verwandelt sich das menschliche Antlitz in eine neue Seinsform. Das Porträt, das neben dem Fingerabdruck der wichtigste Identitätsträger einer Person darstellt, wird meist nur schematisiert wiedergegeben und erhält durch diese Art der Verfremdung oder auch Entfremdung etwas Zeichenhaftes. Die Reduktion auf wenige einprägsame Gesichtszüge machen das Porträt zu einem » graphischen Kürzel « [JUTTA SAUM]. Hier klingt auch die visuelle Reizüberflutung an, der wir tagtäglich ausgesetzt werden. In kürzester Zeit muss die auf uns einwirkende Bilderflut in Hinsicht auf wenige, aber wieder erkennbare Merkmale gescannt und ausgewertet werden. Dies schließt auch den Menschen in unserer Gesellschaft mit ein.
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