Reflexion
Die Bilder Gan-Erdene Tsends entführen den Betrachter mit einer geradezu atemberaubenden Intensität und Eindringlichkeit in die großartige und imposante Natur seiner mongolischen Heimat. Alles in seinen Landschaften entsteht aus dem ›Licht der Farben‹ – ihrer sinnlichen Qualitäten und ihrer psychologischen Wirkungen. Das gesamte Farbspektrum des gebrochenen Lichts verdichtet sich zu einer pointillistischen all-over-Struktur, in der die Farben in einem geradezu pulsierendem Schillern und Flirren reflektiert werden. Doch geht es in der Kunst Gan-Erdene Tsends nicht allein um Farbreflexionen. Jedes seiner Bilder stellt auch im übertragenden Sinne eine gedankliche Reflexion dar: das rückblickende, aber auch das auf die Zukunft gerichtete Nachdenken und die prüfende Betrachtung unserer heutigen gesellschafts-politischen Situation.
Dabei ist die Kunst Gan-Erdene Tsends immer auch ein Spiegel seiner eigenen Lebenserfahrungen. So hat ihn das nomadische Leben, das er in seinen ersten Lebensjahren inmitten der Natur der Mongolei führte, tief geprägt. Auch die Trennung von seiner Heimat durch seine Ausreise nach Deutschland gab ihm wichtige Impulse für seine künstlerische Arbeit.
Die Idee der ›Spiegelung‹ reflektiert genau diese biografische Situation. Als visuelles Mittel entstand sie aus der Vorstellung des Künstlers heraus, dass jeder Mensch in sich zwei verschiedene Leben vereint: ein ideelles, welches in den Gedanken, der Fantasie und der Erinnerung des Menschen stattfindet, und ein dingliches, welches sich in der Realität, im Körperhaften, abspielt. Die Spiegelung fungiert damit als Metapher, mit der die Gedanken der dargestellten Person, seine Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte vergegenständlicht werden. Durch die Gegenüberstellung dieser zwei verschiedenen Realitätsebenen – der inneren Gedankenwelt und der äußeren Dingwelt – werden die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung aufgedeckt. Denn im gespiegelten Bild taucht immer ein Geschöpf auf – eine Person oder ein Tier –, welches in der dargestellten Bildwirklichkeit fehlt. In der Differenz zwischen dem, was war oder sein wird bzw. sein könnte, offenbart sich die Geschichte…
So werden die Landschaftsbilder Gan-Erdene Tsends auch immer zum Spiegel und Träger politischer und gesellschaftlicher Aussagen. Dabei setzt sich der Künstler vor allem mit den Anforderungen auseinander, die die Globalisierung an eine immer noch hauptsächlich nomadisch lebende Gesellschaft stellt. Mit subtilen Strategien – feinen Sinnverschiebungen, Andeutungen oder im Weglassen eines Details – überrascht er die Erwartungshaltung des Betrachters und lenkt so die Aufmerksamkeit auf den Bildinhalt.